Bilder von heiligem Ernst


„Ernst ist das Leben und heiter ist die Kunst“. So hat es Friedrich von Schiller in seinem „Wallenstein“ formuliert. Wie er es gemeint hat, bleibt offen, denn dieser frühe Sozialkritiker und leidenschaftliche Dichter hat sich keineswegs selbst an diese Maxime gehalten. Dramatisch und kaum heiter geht es zu in seiner „Glocke“, in seinem „Taucher“, in seinen „Räubern“. Ist es nicht ohnehin so eine Sache mit der Heiterkeit in der Kunst? Wann, außer in manchen Werken von großen Meistern wie Marc Chagall oder Paul Klee, wird je die Heiterkeit der Reife, der wunderbaren, leise lächelnden Stille nach der Katharsis, erreicht? Heiterkeit in der Kunst wie im Leben ist eine Gnade. Sie wird geschenkt, wenn das Dunkle seinen Platz finden durfte, und das bedeutet vor allem: Eine lange Strecke von Mühe und Kampf. Ein Maler, der seinem Inneren folgt, folgen muss, wird, je tiefer er schürft, immer an den Ernst geraten. Den heiligen Ernst.

Die Bilder von Fritz Hirsch sind Bilder von heiligem Ernst. Das klingt ein wenig pathetisch, und deshalb muss sofort richtiggestellt werden: Es ist kein Pathos darin, es sind keine Kopf- und auch keine emotionalen Bauchgeburten, der Maler wollte und will mit ihnen keine wie auch immer gearteten übersinnlichen Belehrungen oder Heilsbotschaften geben. Diese Bilder wollen so und nicht anders von ihm gemalt werden. „Ich habe versucht, davon wegzukommen, wollte eigentlich anders malen“, sagt er, „aber es ging nicht. Meine Bilder werden so“. Dabei ist es sogar die Insel Malta, der eine gewisse Heiterkeit der Atmosphäre und der Gemüter der Menschen, die dort leben, nachgesagt wird, von wo er starke Impulse heimgebracht hat: Die von Meerestieren aller Formen und Farben überquellenden Fischmärkte, helle Häuser mit vielen Fenstern, die Boote auf dem Wasser.

Aber die Farben seiner Bilder stammen eher von einer Palette diesseits der Alpen. Es sind die Farben eines von dunklem Wald umgebenen Sees, in dessen unergründlicher Tiefe sich schon die Dunkelheit auszubreiten beginnt, während noch auf der stillen Oberfläche das letzte Farbenspiel der sinkenden Sonne zu sehen ist und auch schon eine silbern-goldene Mondsichel ein Stück vom Horizont heraufgewachsen ist. Viele überlagerte Farbschichten, deren Oberflächen dicht scheinen, aber doch gebrochen sind, lassen diesen Eindruck entstehen. Sie vermitteln Ahnung von dem, was darunter ist: Der unergründliche See. Es sind die magischen Augenblicke zwischen Tag und Traum, die in diesen Bildern eingefangen sind.

Vom „großen Traum“ hat der berühmte Schweizer Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung gesprochen, wenn er jene Träume meinte, in denen uralte Menschheitsbilder aus dem kollektiven Unbewussten, die Archetypen, wie er sie nannte, auftauchen. In diesen Träumen verweben sich Ursymbole mit Szenerien, wie sie das menschliche Leben zu allen Zeiten als Marksteine erfahren hat, wobei das jeweilige Kleid durchaus von der Herkunftskultur des Träumers abhängt. In Fritz Hirschs Bildern ist es unser – der christliche – Kulturkreis. In diesen Bildern erfüllt sich zudem ein weiterer Begriff, den C.G. Jung eingeführt hat, auf eine sehr eigene Weise: Die Synchronizität. So vieles, das wichtig ist für die Entwicklung des Menschen, geschieht gleichzeitig, aber nicht am gleichen Ort. Bei Fritz Hirsch verbinden sich die Bilder zu einem dichten Körper, der den Bildgrund weitgehend oder vollständig ausfüllt. Was zeitlich nacheinander geschieht, wenn Traumbilder sich entwickeln, bündelt sich hier synchron im Raum und wächst auseinander heraus, ganz eins in sich und doch in Vielfalt.

Was ist zu sehen? Das Boot, Urbild für beides, das Lebensschiff und den Kahn, der von Charon über den Styx gerudert wird, wenn die letzte Reise angetreten wurde. Der Mond, auch er seiner Form nach ein Boot, wenn er abnehmend oder zunehmend um unseren Planeten schwimmt. Der Mond regiert das Wasser, aus dem das Leben kommt, man wusste es von alters her. Bei Fritz Hirsch ist es nur selten die freundliche zunehmende Mondsichel, es ist der abnehmende Mond und seine Farbe wie dunkles Silber ist melancholisch. Dann aber ist auch der schwarze Mond da, der Unheilverheißende, der Schatten des hellen Bruders, der sich als Vorbote zeigt, wenn Seuchen sich ausbreiten oder Kriegsgefahr aufzieht. Nimmt man ihn so zur Kenntnis, dann ist leicht nachzuvollziehen, dass unser Begriff „launisch“ sich von „lunar“ herleitet. Es ist immer Angst dabei, wenn der Mensch nicht weiß, welche Laune des Schicksals er nun zu erwarten hat.

Der Fisch gehört zum Wasser und damit auch zum Mond und zum Boot, das dem Fisch das Verhängnis bringt. Fritz Hirschs Fische sind tote Fische mit im Ersticken aufgerissenen Mäulern. Sie liegen auf Tellern, die an die ganzheitlich runde Mondscheibe denken lassen, und sie finden ihre Entsprechung in den vielfach auftauchenden Kardinalshüten, die bis heute geformt sind wie aufgerissene Fischmäuler. Christus, der Fisch, wir alle kennen das Ikonogramm, aber mancher mag sich vielleicht nicht klar darüber sein, dass dahinter altes gnostisches Wissen steckt, das zumindest der Amtskirche niemals genehm war. Christus kam auf diese Welt und brachte mit sich den Gedanken, dass nur die Liebe zählt, als die Sternkundigen den Anbruch des Fischezeitalters vermeldeten, gezählt nach einem rückwärts laufenden kosmischen Kreis der Sternzeichen. Es ist jetzt, nach 2000 Jahren, vorüber und hat dem Wassermann Platz gemacht.
Aber damit noch nicht genug der Wassertiere. Röhrenförmige Meeresgeschöpfe winden sich wie Kreissegmente über den Bildgrund. Sie haben Öffnungen, die wie Augen herausglotzen, oder sie haben die Form von Schalltrichtern und ihre dunkel schillernden Farben rufen Assoziationen wach zu den Trompeten von Jericho. Vielleicht darf an dieser Stelle gesagt werden, dass Fritz Hirsch nicht nur Maler sondern vor allem auch Musiker ist und dass er eine ganze Reihe von Blasinstrumenten beherrscht.

Mit diesen Röhren hat es jedoch noch eine andere Bewandtnis: In manchen Bildern ringeln sie sich zusammen zum Ouroboros, der Weltenschlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, ein mythisches Bild, das in den Kosmologien vieler alter Kulturen seinen Platz hat. Innerhalb der gnostischen Richtungen des Christentums ist es die Alchemie, in der der Ouroboros zu finden ist. Er ist ein bezwingendes Symbol für den ewigen Wechsel für das Hinsterben und Auferstehen innerhalb der Welt der Materie. Ein anderes Bild dafür, und damit begeben wir uns jetzt an Land, ist das Rad. An den unerwartetsten Stellen taucht es auf, zum Beispiel auch, um ein Schiff überraschenderweise zu einem Landfahrzeug zu machen. Aber dann hat dieses Schiff sogar einen Flügel, doch kann es ich gewiss nicht in die Luft erheben, weil es der Ouroboros in einem großen Bogen umschlingt. Aber ist es überhaupt ein Schiff? Der Bug biegt sich nach oben und ist – wiederum ein geöffnetes Fischmaul, dessen langgestreckter Leib von einer Reihe von dunklen, vielleicht sogar blinden Augen markiert wird. Nicht weit davon zieht ein weiteres Symbolbild, das sich in kaum abgewandelter Form auf den meisten Arbeiten entdecken lässt, den Blick an: Drei Türme, zusammen-gewachsen zur Einheit, und meist mit je einem Kreuz gekrönt. Die Drei, im Christentum ohnehin über alle anderen Zahlen erhoben, ist in der Alchemie in ein Schöpfungskonzept eingebaut: Eins und Zwei, Männlich und Weiblich, König und Königin, verbinden sich zur Drei, damit der geistige Sohn, der filius philosophorum, geboren werden kann, das Dritte, die Bewusstheit und die Selbsterkenntnis. Auf manchen der Bilder beugen sich die drei Türme wie unter dem Druck eines fürchterlichen Sturms und sie wirken dann auch nicht wie von Menschen gebaut, sondern wie aus Urmaterie gewachsen. Gelegentlich geht einer der drei Türme verloren oder alle drei haben sich in die Augenröhren verwandelt, die aus einem Fischleib herauswachsen.

Diese Bilder lassen sich nicht rasch konsumieren. Ein Betrachter kann nichts anderes tun, als sich einzulassen, wieder und wieder. Er kann noch lange nach dem ersten Anschauen Neues entdecken, kann sich fragen, was denn dies nun sei, die weißen Häuser mit den leeren Fensterhöhlen, die vielleicht auch wieder Türme sind oder gar Jakobsleitern, viel zu kurz, um damit in den Himmel zu gelangen? Er wird herabstürzende Boote entdecken, deren Segel wiederum ein Fischkopf mit dem schreienden Maul ist, oder eine Mondsichel, aus der ein Stück herausgerammt wurde, so dass wieder ein Maul entstand, das nun zubeißen will. Oder hat der Mond nicht ein Auge und ist also wieder ein Fisch? Rätselvolle Bilder, magische Bilder, die ein Maler und Musiker aus seinem Seelengrund geschöpft hat.

INGRID ZIMMERMANN